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Hipster-Hauptstadt

Wenn jede Stadt der Welt ein Familienmitglied wäre, dann wäre Rotterdam die verrückte Cousine aus Übersee. Sie würde ein völlig abgedrehtes Architekturbüro leiten, hätte sechs Kinder von fünf Männern, kein Auto, dafür einen außergewöhnlichen Modegeschmack und beim Ausgehen würde sie immer eine Runde schmeißen. Und zwar gerne Moscow Mule oder ein anderes sündhaft teures Getränk. Konventionen? Ach was - darüber würde sie nur abfällig, aber auch sehr sexy lächeln. Ganz anders als ihre knuffigen Schwestern Amsterdam, Den Haag oder so pittoreske Örtchen wie Gouda oder Middelburg. Wer nach Rotterdam kommt, kann sich Grachten-Charme schonmal abschminken. Hier ist die Hipster-Zentrale. Alles ist designed. Sogar McDonalds sitzt in einem goldenen Kubus irgendwo vor einer halbwegs alten Fassade. Stahl, Beton, Wolkenkratzer, dessen Etagen ein bisschen versetzt aufeinandersitzen, als hätte es ein Kind beim Spielen nicht ganz genau genommen. Schwimmende Pavillons in Fußballform, dominante Stehlen, Beleuchtungskonzepte, die an überdimensionierten Kränen hängen, Wohnhäuser, deren Würfel auf der spitzen Ecke stehen. Vielleicht ist Rotterdam gar keine Stadt, sondern nur der Ausstellungsort für einen riesigen Architekturwettbewerb. Gleich muss irgendeine Jury vorbeikommen und entscheiden, ob der Tower mit den Waben gewonnen hat oder die Markthalle mit der überdimensionierten Obstmalerei an der Decke. Oder doch die Erasmusbrücke mit ihrem riesigen Einzelpylon, der einem Origami-Vogel gleich in den von Wolken zerfetzten Himmel ragt.

Wer in Rotterdam ist, kann sich einfach treiben lassen und muss keine Angst haben, dass er nichts entdeckt. Besonderheiten fürs Auge gibt es nämlich an jeder Ecke. Und für den Mund auch. Was man keinesfalls verpassen sollte:

 

 

Die Markthalle

Geschäftiges Treiben und von Würsten über Käse, Fisch, Gemüse, Obst, Süßigkeiten bis hin zu Kaffee und Austern und Gebäck und Smoothies gibt es hier alles, was man gerne im Bauch hätte. Allein am Salamistand wird man fast verrückt, weil man sich nicht entscheiden kann zwischen den vielen Sorten mit grünem Pfeffer, mit Cognac, mit Pilzen, mit Camembert, mit Ziegenkäse, mit Kurkuma, von der Ente, vom Wildschwein, vom Rind, vom Hirsch. Käselaibe stapeln sich genauso wie "Wortels", das sind Karotten - und sie sind hier so groß wie Zuckerrüben. Überall kann man probieren, wer noch nicht satt ist, klettert auf eine der Terrassen und kann von dort oben in relativer Ruhe und relativ günstig einen Teller Pasta verspeisen. Oder was griechisches, oder chinesisch, oder was auch immer. Das beste: Für das ganze Paradies muss man nicht einmal früh aufstehen. In Rotterdam hat die Markthalle nämlich bis acht Uhr abends geöffnet. Und wer neben den ganzen edlen Genüssen noch ganz banales einkaufen muss, der findet im Untergeschoss auch den Supermarkt, der Toilettenpapier verkauft und (in unserem Fall wichtig) Babynahrung für die Kleinsten unter uns, denen eine ganze Salami am Stück dann doch noch zu mächtig ist.

Ein bisschen Romantik

Es gibt nach etwas Suchen dann doch mindestens eine Straße in Rotterdam, da gleicht die Stadt ihren charmanten Schwestern fast aufs Haar. Veerhaven im Scheepvaartkwartier. Hier glucksen alte Segelschiffe auf dem Wasser, darüber thronen Laternen, die aussehen, als würde sie morgens der Nachtwächter löschen und drumherum gruppieren sich hohe Giebelhäuser. Obwohl Rotterdam hier so gar nicht so ist, wie es sich eigentlich fühlt, sollten Besucher diesen inneren Hafen nicht verpassen. Und sei es nur, um sich zu erholen von der schnellen, lauten Reise in die Zukunft, durch die hier jeder Gast hindurch muss. Hier ist Rotterdam ganz Holland. Und wer verliebt ist, verpasst diesen Ort ohnehin auf keinen Fall. Zu romantisch ist die Kulisse, vor der sich gerade am Wochenende auch immer wieder Bräute mit ihren Zukünftigen einfinden, um das Ja-Wort in einem passenden Hafen-Foto für die Enkelkinder festzuhalten.

Auf jeden Fall: Essen gehen!

Wer nach Holland fährt und nicht viel nachdenkt, hat die Klischees im Kopf. Denn natürlich ist unser Nachbar mit ein paar Begriffen verknüpft, die wir runterbeten würden, wenn uns nachts um drei jemand weckt und fragt, was uns zu den Niederlanden einfällt: Tulpen, Tomaten (eher die geschmacklosen), Gouda, Frikandel, Waffeln (Stroopwafels, pappsüß) und Pommes mit Mayo. Fahrt ruhig mit diesen Vorurteilen hin. Ihr werdet überrascht zurückkommen. Zumindest dann, wenn ihr der Versuchung widersteht, an jeder Ecke Waffeln und Pommes und Bitterballen in euch reinzustopfen, sondern euch einlasst auf die Küchenkreativität dieser selbstbewussten Stadt. 

Besonders empfehlenswert ist unserer Meinung nach das "Ayla" am Kruisplein. Wir haben gar nicht so viel erwartet, es war der letzte Tag, wir waren gar nicht so hungrig und dachten eher an ein Bistro-Essen, als wir das gemütliche Interieur sahen, ein bisschen Casablanca, ein bisschen Beirut, ein bisschen Barcelona, ein bisschen New York. Serviert wird hier außerdem zu jeder Tages- und Nachtzeit. Was normalerweise auch eher an Durchschnittlichkeit denken lässt. Und dann haben uns die ausgefallenen Tapas echt fast vom spanischen Hocker gehauen. Nichts mit Datteln in Speck oder banalen Patatas. Mein Favorit war das Huhn vom "Josper", einer Mischung aus Grill und Backofen, der das Fleisch so macht, wie es sein soll: röstaromig und trotzdem zart (9,50 Euro). Dazu rote Beete und Sahnequark. Mutete irgendwie auch indisch an dadurch und zerfloss im Mund und danach im ganzen Körper. Herrlich! Aber auch das Iberico-Schwein mit einer Soße aus Zwiebeln und Bourbon war toll (11,50 Euro). Für Vegetarier eine Offenbarung: Die Frühlingszwiebeln mit Haselnüssen und Safran, dazu gerösteter Knoblauch: Erfrischend säuerlich wie ein Salat und superlecker (8,50 Euro). Zart und kein bisschen gummiartig war auch der Tintenfisch mit Fenchel (11,50 Euro). Das Ayla ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Auch, wenn der Spaß nicht ganz günstig ist. Die Portionen sind für Tapas eher groß, dennoch braucht man eher drei, um richtig satt zu werden. Dann wird der Abend schnell teuer. Zum Glück kann man aber auch nur kurz vor dem Kino herkommen und zu zweit ein Tellerchen probieren. Dann beginnt der Abend kulinarisch traumhaft und finanziell überschaubar.

Wer einfach ein saftiges Stück Fleisch zwischen den Zähnen haben will und nichts mit Von-kleinen-Tellern-naschen am Hut hat, geht gleich ins "Supermercado", Schiedamse Vest, unweit vom Veerhaven. Der Südamerikaner hat Ceviche im Angebot, aber auch die Klassiker wie Steak, Tortillas, Tacos, Quesadillos, Burger, Spareribs und Fajitas. Alles hat Streetfood-Charme, die Einrichtung ist so gemütlich, dass sie auch das Winterrotterdam gleich um drei bis vier Grad wärmer macht und die Kellner tragen lustige Shirts (Call nine, juan, juan. It's a taco emergency) und sind trotz Hochbetrieb sehr charmant und gelassen. Das Fleisch war superlecker und die Chimichurri schön rauchig-scharf. Auch erwähnenswert ist tatsächlich die Guacamole zur Vorspeise. Da erwartet man gar nichts Besonderes. Und dann war sie so samten-cremig und mild, dass sogar unser Baby-Junge sie liebte. Übrigens Baby-Junge: Kinderstühle gab es an beiden Adressen, dazu viele sehr liebevolle Worte für alle Winzlinge.

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