Rotterdam

Urlaub mit den Schlümpfen

Die Schlümpfe begleiten uns jeden Abend zum Essen. Wir sind das nicht gewohnt, aber schon am zweiten Tag haben wir die kleinen Gestalten mit den sehr hohen Stimmen irgendwie ins Herz geschlossen. Das Kinderhotel am Oberjoch in Bad Hindelang im Allgäu macht ständig einen Spagat. Es soll ein Paradies sein für Kinder. Also Eismaschine, Pommes, längste Wasserrutsche, Spielplätze, Hüpfpilz, Kartbahn und Schlumpfmusik. Und ein Erholungsort für Eltern. Der so ziemlich von all dem das Gegenteil braucht: Sauna, Whirlpool, Wolfsbarsch und Stille. Wenn jemand einen Spagat versucht, dann kann das in einem hoffnungslosen Desaster enden. Schlimmstenfalls wird man beiden Parteien nicht gerecht. Aber es kann auch ein harmonisches Kunststück dabei herauskommen. Das Kinderhotel schafft Letzteres.

 

Das Essen ist ein gutes Beispiel. Die Kinder wollen Pommes und Spaghetti. Frittiertes Huhn. Schokoladeneis. Die Eltern wollen Wolfsbarsch und Prinzessbohnen im Speckmantel. Im Kinderhotel gibt es beides selbstverständlich nebeneinander. Eine Eismaschine mit Smarties und Gummibärchen zum Verzieren. Aber eben auch Crème brulée. Eine umfangreiche Weinkarte. Apropos, die Kinder wollen: Viel trinken. Die Frage: „Darf ich noch eins?“ können Eltern getrost mit einem großzügigen "Klar" beantworten. Die Limonade fließt schließlich zum Selbstzapfen aus etlichen Brunnen. Schlaraffenland, Oase. Und die Kinder können so viel trinken als wären sie ein Kamel und hätten eine sechswöchige Wüstentour vor der Brust.

 

Eine Wüstentour schließt sich am kommenden Morgen freilich nicht an. Schließlich reisen wir im Winter an. Es ist Februar, der Schnee liegt hoch wie bei Schneeweißchen und Rosenrot und wir müssen Handschuhe nachkaufen, weil wir die vergessen haben und die Temperaturen für zarte Kinderhände zu niedrig sind. Etwas vergessen ist im Kinderhotel Oberjoch übrigens kein Problem. Eigentlich ist alles da. Ein Snowboard? Gibt's im hoteleigenen Skiverleih. Ein Kinderwagen? Bei den Betreuern für U3. Ein Fläschchenwärmer? An der Rezeption. Babybrei? Natürlich am Büffet und zwar in allen Sorten und rauen Mengen. Eine Zahnbürste? Fragen Sie die nette Frau am Empfang. Ein Fußsack für die kalten Kinderfüße? Ist selbstverständlich vorrätig für alle Gäste. Ebenso wie Windeln und Feuchttücher. Wir machen uns einen Spaß und fragen alles ab. Nur bei der Skihose in Größe 142 müssen die Mitarbeiter passen. Macht aber nichts. Im Intersport ein paar Meter den Pass ins Dorf hinunter gibt's auch die.

 

Die großen Kinder wollen Snowboardfahren lernen. Ebenso der Mann. Das Baby und ich fahren derweil um die tiefverschneiten Hütten Kinderwagen-Schlitten. Nach zwei Stunden gesellen wir uns wieder zu den Snowboardfahrern. Jetzt könnte es ja etwas zu sehen geben. Und tatsächlich. Unter Aprés-Ski-Musik (Ich weiß nun endlich, wie die Mutter von Nici Lauda heißt) machen die drei schon ihre ersten Bögen.

Am Hotel zurück geht es weiter im Spagat. Das Hotel hat nämlich auch Indoor-Freizeit in jede Richtung. Was die Kinder wollen? Kartbahn! Und "die längste Hotel-Wasserrutsche Deutschlands" wurde schon vor der Reise sehnlichst erwartet. Was die Eltern wollen? Bundesliga per Sky gucken. Whirlpool und Sauna. Gibt's alles. Den Winzling versuchen wir zu diesem Zweck bei den sehr netten Betreuerinnen U3 abzugeben. Ich muss ausfüllen, wann er was essen soll, wie er beruhigt werden kann, wann er schlafen soll, wer ihn abholen darf, nach wie vielen Minuten Ungemach man mich auf dem Handy anrufen soll. Als wir gehen, ist der Unmut groß. Aber der Achtjährige sagt mit Bedauern, aber voller Vorfreude: "Wir müssen leider gehen. Wir müssen nämlich in den Whirlpool." Einmal tauche ich nach draußen, den Kopf im dampfenden Wasser, umgeben vom glitzernden Schnee, oben zeichnen schon die Sterne eine Vorankündigung der klaren Nacht in den Himmel. Es ist herrlich. Nach zehn Minuten erlöse ich unser Baby. Es darf mit in den Whirlpool, die Luft aus den Düsen blubbert es fast in den Schlaf.

Unser Fazit: Das Kinderhotel ist viel besser als wir erwartet haben. Pauschalreisen sind nicht so unser Ding und all inclusive weckt in unseren Ohren immer den Beigeschmack Massenabfertigung. Das Kinderhotel Oberjoch hat uns trotzdem völlig überzeugt. Der Spagat zwischen tobenden Kindern und anspruchsvollen Erwachsenen gelingt so elegant, dass wirklich alle entspannen können und Spaß haben. Der Preis ist natürlich entsprechend. Da muss einem ein Wochenende im Schnee schon so viel Wert sein wie eine Woche Sommerurlaub per Flugzeug. Da kann man auf die Kinderfrage: "Fahren wir nächstes Wochenende wieder ins Kinderhotel?" nicht ganz so großzügig antworten. Aber immerhin hat es sowohl der 13-Jährigen, als auch dem Achtjährigen und knapp Einjährigen gefallen. Der ist jetzt stolzer Besitzer von Murmel, dem Kinderhotel-Maskottchen. Und wir erinnern uns immer noch gern an den klaren Winterhimmel über dem Außenpool und das sehr geräumige Appartement mit Kuschelecke und riesigem Balkon und zwei Bädern und Sky-Abo. Und, und, und. Die Konjunktion in ihrer additiven Verwendung ist übrigens ein schönes Wort für dieses Hotel. Das Angebot scheint hier quasi nie zu Ende zu sein. Es kann immer noch etwas kommen: Und.

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Kaiserschmarrn-Zentrale

In meinem Kochbuch steckt ein zerknitterter Zettel. In Kinderschrift steht darauf ein großes Geheimnis: Das Kaiserschmarrn-Rezept der Milchbar in Gerlos, Tirol. Meine Tochter und meine Nichte haben es vor vielen Jahren nach beharrlichem Nachfragen und vielfachem eigenen Ausprobieren aufgeschrieben. Das Geheimnis: Puddingpulver und ein bisschen Backpulver. Selbstverständlich außerdem so viele Eier, wie nur irgend zu finden sind. Die Milchbar ist das dritte Zuhause der Mädchen. Wir kehren dort jedes Jahr ein, wenn wir in Gerlos zum Winterurlaub zu Gast sind. Und das bin ich seit 30 Jahren. Die Kinder kamen mit, als sie laufen konnten, und so ist für sie eine andere Destination des winters völlig ausgeschlossen. Wir bewohnen dort eine Ferienwohnung (zweites Zuhause), in der sich - wenn man ehrlich ist - seit 30 Jahren so gut wie nichts verändert hat. Nur eine Spülmaschine wurde nachgerüstet. Und der Eckbank-Bezug wurde erneuert. Der vom Sofa ist aber noch der gleiche. Dennoch: Wenn wir vorschlagen, einmal ein anderes Skigebiet zu erkunden, dann heißt es: "Auf keinen Fall, wir wollen nach Gerlos. Dort ist das schönste Hotel der Welt! Und die Milchbar!" Also buchen wir weiter jedes Jahr. Freunde, Partner, Ehemänner und Kinder sind dazugekommen - wir werden also jedes Jahr mehr, der Tisch in der Milchbar jedes Jahr größer. Sonst bleibt alles, wie es war. 

Dieses Jahr ist zum ersten Mal der Baby-Junge dabei. Skifahren kann er noch nicht. Aber wir haben beim "Huber" im Ort einen Schlitten ausgeliehen. Und so hopste sich der Schneezwerg dick verpackt schon das Schönachtal zur Lakenalm hinter. Hopste? fragt ihr euch? Das Verb ist korrekt, denn sobald der Junge wach ist, hängt er den Kopf hinten über den Schlitten, so dass er kurz über dem Boden schwebt, hopst mit dem Po auf und ab und lacht wie verrückt. Wollt ihr wissen, wie er dabei aussieht? So:

 

Skifahren ist in diesem Jahr übrigens ein Survival-Trip. Ich mag das ganz gerne. Wenn ich Helm und dicke Schneebrille aufsetze, darunter die Sturmhaube und die Flocken so dick fallen, dass man sich an den Pistenbegrenzungen orientieren muss, um überhaupt ins Tal zu finden, dann steigert das meine Abenteuerlust. Es ist nicht wirklich gefährlich, aber man kann es sich vorstellen, dass man auf einer Expedition ist und heil nach Hause zurück finden muss. Amundsen-Polarforscher-mäßig eben. Es schneit jedenfalls seit dem zweiten Tag ununterbrochen. Gestern wurden die Lifte abgestellt, weil noch Sturm dazu kam und als wir zu unserem Appartement hochfahren wollten, rutschte der Wagen weg und eine Gruppe großer holländischer Männer musste das Auto von der Leitplanke wegschieben, sonst wären wir reingekracht. Hochfahren konnten wir dann nur mit Anlauf. Die Mädchen waren trotz der widrigen Bedingungen ganz heiß auf die Piste. Der Grund: Sie haben dieses Jahr zum ersten Mal Snowboarden ausprobiert. Und das ist für heranwachsende Jugendliche natürlich um Längen cooler als Skifahren. Plötzlich ist das Alteleute-Sport. Für Mütter, Väter, Großväter und Großmütter. 

Aber heute ist sowieso Skipause. Man sieht die Hand kaum, wenn man sie - wie wir Kölnerinnen das gewohnt sind - eine ganze Armlänge wegstreckt. Die Schneefallwahrscheinlichkeit beträgt bis heute Abend 100 Prozent. Wir bleiben also zu Hause, hopsen vielleicht ein bisschen mit dem Schlitten und sammeln unsere Kräfte. Denn morgen Abend geht es mit dem Nachtzug nach Hause. Ich, ein Teenager und ein Baby. Kein Liegewagen, weil die schon alle ausgebucht waren. Nur Sitzplätze. Elf Stunden. Aber immerhin für unschlagbar günstige 59 Euro alles in allem. Ich bin gespannt, wie das klappt. Drückt die Daumen, ich berichte!

 

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Hipster-Hauptstadt

Wenn jede Stadt der Welt ein Familienmitglied wäre, dann wäre Rotterdam die verrückte Cousine aus Übersee. Sie würde ein völlig abgedrehtes Architekturbüro leiten, hätte sechs Kinder von fünf Männern, kein Auto, dafür einen außergewöhnlichen Modegeschmack und beim Ausgehen würde sie immer eine Runde schmeißen. Und zwar gerne Moscow Mule oder ein anderes sündhaft teures Getränk. Konventionen? Ach was - darüber würde sie nur abfällig, aber auch sehr sexy lächeln. Ganz anders als ihre knuffigen Schwestern Amsterdam, Den Haag oder so pittoreske Örtchen wie Gouda oder Middelburg. Wer nach Rotterdam kommt, kann sich Grachten-Charme schonmal abschminken. Hier ist die Hipster-Zentrale. Alles ist designed. Sogar McDonalds sitzt in einem goldenen Kubus irgendwo vor einer halbwegs alten Fassade. Stahl, Beton, Wolkenkratzer, dessen Etagen ein bisschen versetzt aufeinandersitzen, als hätte es ein Kind beim Spielen nicht ganz genau genommen. Schwimmende Pavillons in Fußballform, dominante Stehlen, Beleuchtungskonzepte, die an überdimensionierten Kränen hängen, Wohnhäuser, deren Würfel auf der spitzen Ecke stehen. Vielleicht ist Rotterdam gar keine Stadt, sondern nur der Ausstellungsort für einen riesigen Architekturwettbewerb. Gleich muss irgendeine Jury vorbeikommen und entscheiden, ob der Tower mit den Waben gewonnen hat oder die Markthalle mit der überdimensionierten Obstmalerei an der Decke. Oder doch die Erasmusbrücke mit ihrem riesigen Einzelpylon, der einem Origami-Vogel gleich in den von Wolken zerfetzten Himmel ragt.

Wer in Rotterdam ist, kann sich einfach treiben lassen und muss keine Angst haben, dass er nichts entdeckt. Besonderheiten fürs Auge gibt es nämlich an jeder Ecke. Und für den Mund auch. Was man keinesfalls verpassen sollte:

 

 

Die Markthalle

Geschäftiges Treiben und von Würsten über Käse, Fisch, Gemüse, Obst, Süßigkeiten bis hin zu Kaffee und Austern und Gebäck und Smoothies gibt es hier alles, was man gerne im Bauch hätte. Allein am Salamistand wird man fast verrückt, weil man sich nicht entscheiden kann zwischen den vielen Sorten mit grünem Pfeffer, mit Cognac, mit Pilzen, mit Camembert, mit Ziegenkäse, mit Kurkuma, von der Ente, vom Wildschwein, vom Rind, vom Hirsch. Käselaibe stapeln sich genauso wie "Wortels", das sind Karotten - und sie sind hier so groß wie Zuckerrüben. Überall kann man probieren, wer noch nicht satt ist, klettert auf eine der Terrassen und kann von dort oben in relativer Ruhe und relativ günstig einen Teller Pasta verspeisen. Oder was griechisches, oder chinesisch, oder was auch immer. Das beste: Für das ganze Paradies muss man nicht einmal früh aufstehen. In Rotterdam hat die Markthalle nämlich bis acht Uhr abends geöffnet. Und wer neben den ganzen edlen Genüssen noch ganz banales einkaufen muss, der findet im Untergeschoss auch den Supermarkt, der Toilettenpapier verkauft und (in unserem Fall wichtig) Babynahrung für die Kleinsten unter uns, denen eine ganze Salami am Stück dann doch noch zu mächtig ist.

Ein bisschen Romantik

Es gibt nach etwas Suchen dann doch mindestens eine Straße in Rotterdam, da gleicht die Stadt ihren charmanten Schwestern fast aufs Haar. Veerhaven im Scheepvaartkwartier. Hier glucksen alte Segelschiffe auf dem Wasser, darüber thronen Laternen, die aussehen, als würde sie morgens der Nachtwächter löschen und drumherum gruppieren sich hohe Giebelhäuser. Obwohl Rotterdam hier so gar nicht so ist, wie es sich eigentlich fühlt, sollten Besucher diesen inneren Hafen nicht verpassen. Und sei es nur, um sich zu erholen von der schnellen, lauten Reise in die Zukunft, durch die hier jeder Gast hindurch muss. Hier ist Rotterdam ganz Holland. Und wer verliebt ist, verpasst diesen Ort ohnehin auf keinen Fall. Zu romantisch ist die Kulisse, vor der sich gerade am Wochenende auch immer wieder Bräute mit ihren Zukünftigen einfinden, um das Ja-Wort in einem passenden Hafen-Foto für die Enkelkinder festzuhalten.

Auf jeden Fall: Essen gehen!

Wer nach Holland fährt und nicht viel nachdenkt, hat die Klischees im Kopf. Denn natürlich ist unser Nachbar mit ein paar Begriffen verknüpft, die wir runterbeten würden, wenn uns nachts um drei jemand weckt und fragt, was uns zu den Niederlanden einfällt: Tulpen, Tomaten (eher die geschmacklosen), Gouda, Frikandel, Waffeln (Stroopwafels, pappsüß) und Pommes mit Mayo. Fahrt ruhig mit diesen Vorurteilen hin. Ihr werdet überrascht zurückkommen. Zumindest dann, wenn ihr der Versuchung widersteht, an jeder Ecke Waffeln und Pommes und Bitterballen in euch reinzustopfen, sondern euch einlasst auf die Küchenkreativität dieser selbstbewussten Stadt. 

Besonders empfehlenswert ist unserer Meinung nach das "Ayla" am Kruisplein. Wir haben gar nicht so viel erwartet, es war der letzte Tag, wir waren gar nicht so hungrig und dachten eher an ein Bistro-Essen, als wir das gemütliche Interieur sahen, ein bisschen Casablanca, ein bisschen Beirut, ein bisschen Barcelona, ein bisschen New York. Serviert wird hier außerdem zu jeder Tages- und Nachtzeit. Was normalerweise auch eher an Durchschnittlichkeit denken lässt. Und dann haben uns die ausgefallenen Tapas echt fast vom spanischen Hocker gehauen. Nichts mit Datteln in Speck oder banalen Patatas. Mein Favorit war das Huhn vom "Josper", einer Mischung aus Grill und Backofen, der das Fleisch so macht, wie es sein soll: röstaromig und trotzdem zart (9,50 Euro). Dazu rote Beete und Sahnequark. Mutete irgendwie auch indisch an dadurch und zerfloss im Mund und danach im ganzen Körper. Herrlich! Aber auch das Iberico-Schwein mit einer Soße aus Zwiebeln und Bourbon war toll (11,50 Euro). Für Vegetarier eine Offenbarung: Die Frühlingszwiebeln mit Haselnüssen und Safran, dazu gerösteter Knoblauch: Erfrischend säuerlich wie ein Salat und superlecker (8,50 Euro). Zart und kein bisschen gummiartig war auch der Tintenfisch mit Fenchel (11,50 Euro). Das Ayla ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Auch, wenn der Spaß nicht ganz günstig ist. Die Portionen sind für Tapas eher groß, dennoch braucht man eher drei, um richtig satt zu werden. Dann wird der Abend schnell teuer. Zum Glück kann man aber auch nur kurz vor dem Kino herkommen und zu zweit ein Tellerchen probieren. Dann beginnt der Abend kulinarisch traumhaft und finanziell überschaubar.

Wer einfach ein saftiges Stück Fleisch zwischen den Zähnen haben will und nichts mit Von-kleinen-Tellern-naschen am Hut hat, geht gleich ins "Supermercado", Schiedamse Vest, unweit vom Veerhaven. Der Südamerikaner hat Ceviche im Angebot, aber auch die Klassiker wie Steak, Tortillas, Tacos, Quesadillos, Burger, Spareribs und Fajitas. Alles hat Streetfood-Charme, die Einrichtung ist so gemütlich, dass sie auch das Winterrotterdam gleich um drei bis vier Grad wärmer macht und die Kellner tragen lustige Shirts (Call nine, juan, juan. It's a taco emergency) und sind trotz Hochbetrieb sehr charmant und gelassen. Das Fleisch war superlecker und die Chimichurri schön rauchig-scharf. Auch erwähnenswert ist tatsächlich die Guacamole zur Vorspeise. Da erwartet man gar nichts Besonderes. Und dann war sie so samten-cremig und mild, dass sogar unser Baby-Junge sie liebte. Übrigens Baby-Junge: Kinderstühle gab es an beiden Adressen, dazu viele sehr liebevolle Worte für alle Winzlinge.

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Rotterdam mit Baby

Bevor ich in eine Stadt reisen, in der ich noch nie war, mache ich oft ein kleines "Hab ich mal gehört"-Spiel. Meistens fallen einem nämlich zu Orten irgendwelche Bezüge ein, die - zugegebenermaßen - oft nicht mit dem nötigen Hintergrundwissen verknüpft sind. Wenn man das dann schon vor der Reise nachschlägt, erspart man sich grobe Peinlichkeiten und hat jedenfalls schon ein paar verstaubte Gehirnschubladen wieder flott gemacht. Im Falle von Rotterdam fällt mir Erasmus von Rotterdam ein, aber auch Feyennoord Rotterdam und die Erasmusbrücke. Erasmus von Rotterdam ist wahrscheinlich der berühmteste Sohn der Stadt. Interessanterweise wohnte der Humanist und Vorreiter der Reformation nicht sehr lange in Rotterdam, er sah sich eher als Europäer und reiste viel. Geboren wurde er aber wahrscheinlich in oder bei Rotterdam und zwar interessanterweise als zweiter unehelicher Sohn eines katholischen Priesters aus Gouda und seiner Haushälterin. Er war erklärter Pazifist und in seinen theologischen Schriften ökumenisch - was zu Luthers Zeiten ja jetzt nicht so selbstverständlich war. In grundsätzlichen Glaubensfragen seien die beiden Richtungen ja einig, Kleinigkeiten in Auslegung und Ritus könne man ja jedem Gläubigen freistellen. Ein moderner Mann also. Und dazu ein witziger. Sein bekanntestes Werk heute ist dann auch die Satire "Lob der Torheit". 

Feyennord mit seinen Wurzeln im Rotterdamer Hafen-Milieu hat zweimal den Uefa-Pokal gewonnen. 2002 - man erinnert sich vielleicht - leider im Finale gegen den BVB. Emotion und Treue bewiesen die Fans erst vor wenigen Tagen, als sie beim Spiel gegen Venlo mit dem Lied "You'll never walk alone" dem vor sechs Jahren an Leukämie verstorbenen Sohn des Torwarts Brad Jones gedachten,

Und von der Erasmusbrücke? Wusste ich bislang auch nur, wie sie grob aussieht. Nämlich ein bisschen wie ein sehr dünner, sehr steiler Origami-Vogel. Andere erinnert sie eher an einen Schwan, weshalb sie auch den Spitznamen "de zwaan" trägt. Jetzt weiß ich auch noch zwei Superlative, nämlich zum einen dass es sich bei ihr um die größte und schwerste Klappbrücke Westeuropas handelt. Und zum anderen, dass beim Bau von 1994 bis 1996 der leistungsstärkste Schwimmkran der Welt von Nöten war, er trägt den schönen Namen Thialf und wurde gebraucht, um den 139 Meter hohen Pylon aufzustellen. 

Das muss als Grundwissen genügen. Am Wochenende werde ich meine Rotterdam-Kenntnisse hoffentlich noch ein wenig vertiefen.

Spannrolle verzweifelt gesucht

Neben der Leitplanke geht es steil bergab. Es ist schlammig, unbequem und die Autos fahren einem dort direkt durch das Gehirn. Zumindest hört es sich genau so an. Neben der Leitplanke ist kein Ort, an dem man seinen Sonntagnachmittag verbringen möchte. Schon gar nicht, wenn man einen Säugling dabei hat. Ich habe es trotzdem getan. Denn kurz nach Hünxe auf der A3 blinkten in meinem Wagen alle Warnleuchten. Ich hatte mich gerade auf das letzte Stück Richtung Köln aufgemacht, nachdem Google-Maps in Holland versagt und wir schon Stunden durch die Gegend geirrt waren. Also Seitenstreifen, Warnblinklicht, ADAC, Warnweste, Warndreieck, hinter die Leitplanke. Alles mit Baby-Sohn. Warten. Stunden. Pannendienst, Abschleppwagen, Mietauto, spät zu Hause. Ich raffe, denn das Lustige kommt erst noch. Die Werkstatt in Dinslaken versprach, den Wagen zu reparieren. Die Spannrolle sei defekt, alles sei reparabel, die schlechte Nachricht nur, dass gerade für das Baujahr meines Autos die Spannrolle schwer zu kriegen sei. Ich wartete eine knappe Woche, die Werkstatt suchte sämtliche Unterhändler nach der besagten Spannrolle ab. Und gab schließlich auf. Immerhin schleppten sie den Wagen zurück nach Köln, nicht ohne mir vorher mitzuteilen, das Auto sei ohne die Spannrolle nicht mehr instand zu setzen. Große Katastrophe. Ich sah mich schon auf allen Schrottplätzen der Region nach Spannrollen fahnden. Ich habe von den Dingern geträumt, ohne je eine solche zu Gesicht bekommen zu haben. 

Und was soll ich sagen: Die Tatsache, dass eine Spannrolle für meinen Wagen so schwer zu bekommen war, lag banalerweise daran, dass mein Auto gar keine Spannrolle hat. Nie hatte. Der Zwischenhändler hat den Kfz-Mechaniker meines Vertrauens ausgelacht, als er nach einer Spannrolle für mein Modell fragte. Defekt war nämlich nur die Wasserpumpe. Und für die gab es auch ein Ersatzteil. Jetzt fährt der kleine Alte wieder. Nur nach Dinslaken so schnell wohl nicht mehr. Da haben wir ein Trauma.

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Frikandel-Erfahrung gelöscht

Als ich drei Jahre alt war, haben meine Eltern und ich ganz außer der sonst herrschenden Gewohnheit unseren Urlaub nicht in den Bergen, sondern an der See verbracht. Und zwar in Holland, in der Nähe von Groningen. Noch heute wird viel über diesen Urlaub gesprochen in unserer Familie. Einmal, weil es der erste Urlaub war, an den ich eine Erinnerung habe (daran, dass ich ins Waschbecken gekotzt habe und dass ich dort Playmobil-Elefanten geschenkt bekommen habe, mit denen ich im Flur spielte), zum anderen, weil unser Vermieter (sein Name war Bab, das weiß ich noch, weil: Wie die Abkürzung von Bundesautobahn) zwar sehr kinderfreundlich war, die Gastronomie in Holland aber damals eher nicht so auf Kinder eingestellt. Mein Vater erzählt zumindest, wenn es nach den holländischen Restaurants gegangen wäre, hätten wir Kinder zwei Wochen lang nur Frikandel mit Pommes gegessen. Denn etwas anderes hätte die Kinderkarte nicht geboten und kleine Gerichte oder wenigstens ein Gericht auf zwei Tellern wurden grundsätzlich nicht verkauft. Natürlich ist diese zweiwöchige Erfahrung aus dem Sommer 1982 nicht repräsentativ, aber an diese Frikandel-Geschichte dachte ich noch, als ich nun mit dem Baby-Sohn nach Holland reiste. Und erlebte dann aber ein Holland, das eher an die sprichwörtliche Kinderverrücktheit Italiens erinnerte: Touristen mit Kindern wird es hier leicht gemacht.

Jedenfalls sind die Angebote für Familien sehr groß. Auf dem Campingplatz De Wije Werelt in Otterlo gibt es Baumhäuser, Glamping-Zelte und Blockhütten, in denen gut zwei Erwachsene und vier Kinder unterkommen können. Auch in meiner zweiten Unterkunft, dem Eureka-Park in Deuringen in der Provinz Overijssel sind die Hütten nicht sparsam mit Betten. In dem Haus, in dem ich übernachtete, gab es drei Schlafzimmer mit insgesamt sieben Betten und einem extra Babybett. Großfamilien finden also genügend Platz. Dazu gab es zwei Badezimmer und insgesamt drei Toiletten. Beide Unterkünfte warten mit Spielplätzen drinnen wie draußen auf. Bei Wije Werelt gibt es außerdem ein Schwimmbecken und für Kinder eine extra Menülarte, der Eureka-Park wartet auf mit einem Streichelzoo und Naturerkundungsprogrammen während der besucherstarken Zeiten. 

Auch im Naherholungsgebiet Husbeek direkt beim Eurekapark gibt es mannigfache Möglichkeiten für Familien. Viele Restaurants sind auf die Bedürfnisse junger Gäste eingestellt, es gibt Ponyreiten, einen Reiterhof, Paint-Ball, Kletterwald, Abenteuerspielplätze, einen Wald mit Wasserparcours, eine Kartbahn, Naturpfad, Bike-Park, Skaterbahn, Quad-Adventure-Park, eine Radrennbahn und noch mehr. 

Auch das Museum Twentse Welle in Enschede betont seine Angebote für Kinder. Während die Eltern die Ausstellungen besuchen, können die Kinder in der Betreuung etwas basteln, das mit den Themen des Museums zu tun hat. Es wird viel gewebt und geklöppelt, gerade entstehen wegen der Ausstellung zum Thema "Der Traum vom Fliegen" aber auch Heißluftballons und ähnliches. Alle Materialien sind im Eintrittspreis enthalten. 

Die Frikandel-Erfahrung kann ich jedenfalls löschen. Bab würde sich freuen.

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Zurückspulen, bitte

Wenn wir jetzt in den Bus steigen und statt nach Köln-Ehrenfeld nach Minus zehn Jahre reisen könnten? Ort gleichbleibend. Die Frage ist gar nicht nur, was wir tun würden. Sondern: Dürften wir überhaupt etwas tun? Würden wir nicht die ganze Kaskade des Lebens kaputt machen? Weil heute plötzlich nichts mehr zueinander passte, da vor zehn Jahren ein Stein an eine andere Stelle verschoben wurde? Dennoch: Gerade, wenn das Leben uns Zäsuren in die Biografie baut, ist der Drang, nochmal hinter die Absperrung zu springen und alles anders zu machen, besonders groß. Wenn man in Enschede, im Stadtteil Roombeek aus dem Auto steigt und über die an den Parkplatz angrenzende Wiese blickt, will man auch springen, den Bus nehmen zum 13. Mai 2000,nachmittags, als man vieles noch hätte anders machen können.

Henk Stubbe ist eigentlich Rentner und führt mich durch das Museum Twentse Welle, das die Geschichte der gesamten niederländischen Region Twente von den Ammoniten an erzählt. Das Museum ist interessant, mir gefällt besonders das Mammut-Skelett und die von einer Dampfmaschine angetriebenen Webstühle, die in der Tuch-Stadt Enschede einen großen Teil der Geschichte ausmachen. Aber immer wieder reden wir dann doch von dieser Katastrophe vor 17 Jahren, die so tragisch war, weil sie so harmlos und so voller Fehleinschätzungen begann. Und ein paar Minuten später waren 23 Menschen tot, knapp tausend verletzt, ein ganzer Stadtteil niedergebrannt, detoniert. Eine Explosion erschütterte den Norden der niederländischen Stadt, die so stark war, dass die Infraschall-Messanlage der Bundesanstalt für Geowissenschaften im 625 Kilometer entfernten Bayerischen Wald, eine gute halbe Stunde später noch die Druckwelle registrierte. "13. Mai 2000." Stubbe webt das Datum in seine Geschichten ein wie ein auffälliges Muster. Die Katastrophe, die alles zerstörte. Und an deren Ort heute ein neues, belebtes Viertel entstanden ist. Inklusive des historischen Museums Twentse Welle.

Angefangen hatte alles mit einem Brand in der ortsansässigen Feuerwerksfabrik. Feuerwerksraketen schossen in den Himmel, die Feuerwehr löschte mit einem Einsatzwagen und zwölf Mann, Schaulustige drängten sich am sonnigen Frühlingstag um das Schauspiel, viele Familien und Studenten, die hauptsächlich im Viertel wohnten, alles schien harmlos, eine Stimmung wie auf einem Straßenfest, auch die Feuerwehr glaubte noch kurz vor halb vier Uhr am Nachmittag den Brand unter Kontrolle zu haben. Nicht einmal zehn Minuten später brennt der gesamte Stadtteil. Container mit Feuerwerkskörpern explodieren, man vermutet auch illegal gelagertes Material, für das es keine Genehmigungen gab. Die zweite Explosion entwickelt eine Sprengkraft von knapp 5000 Kilogramm TNT. 

Henk Stubbe und ich haben Mammut und Webstühle unter uns gelassen und sind in den siebten Stock des Museumsturms gefahren. Der 78-Jährige streckt die Arme aus und malt imaginäre Linien auf die Gegend unter uns. Der Turm, auf dem wir stehen, ist das Zentrum eines Stadtteils voller Neubauten. Vieles hat man versucht, zu rekonstruieren. Zum Beispiel wurden die alten Arbeiterhäuser wieder aufgebaut, wenn auch in modernen Versionen. "All das hier wurde zerstört am 13. Mai 2000." Stubbe würde gerne den Bus nehmen zu diesem Tag vor 17 Jahren, nachmittags um halb vier. Er würde die Leute nach Hause schicken.

Heute erinnert ein Schild auf dem Rasen neben dem Parkplatz an die Katastrophe und deren Opfer. Einige Autos parken auf der Gedenkwiese. Es ist viel los im gegenüberliegenden Einkaufszentrum. Außerdem: Nebenan ist Flohmarkt, es gibt Luftballons und Rosinenbrötchen. Die Leute sind so zahlreich, dass die Luft summt von ihren Gesprächen, vom Lachen und Rufen. An den Ständen stapeln sich billige Kinderklamotten und nachgemalte niederländische Meister in Öl. Der Regen hat sich verzogen, die Verkäufer befreien ihre Auslage von schützenden Plastikplanen. Es wird ein ausgelassenes Straßenfest werden. Ein niederländischer Alleinunterhalter singt Michael Holms Schlager: "Tausend Träume bleiben ungeträumt. Und tausend Küsse kann ich ihr nicht schenken. Ich gebe nicht auf und such nach ihr in der heißen Sonne von Mendocino."

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Hohe Ziele, flacher Boden

Bert Meijers Augen haben Sehnsucht nach der See. Sie sind sehr hellblau und schützend zu Schlitzen verengt, wenn er auf das Wasser blickt, das der Kahn fast lautlos zerteilt. "Elektro", sagt der 65 Jahre alte Niederländer und klopft auf eine Holztruhe in der Mitte des Schiffes. "Früher musste man natürlich stochern, wenn kein Wind war." Johann Braamhaar, 68, steht am Steuer gerade und verwurzelt wie eine Eiche und ruft: "Zeig ihr das mal!" Also lächelt Meijer, schiebt verlegen seine Schirmmütze etwas tiefer, holt einen langen Holzstab hervor, klettert auf die Sitzbank, sticht ihn auf den Grund der Regge, das ist der Fluss hier im niederländischen Enter bei Enschede und stößt das Boot Stück für Stück vorwärts. Eigentlich gibt es das Boot, in dem wir langsam durch den mäandernden Fluss gleiten, schon lange nicht mehr. Die Zompen, wie die Holländer sie nennen, wurden seit etwa 1600 gebaut und erlebten zu Napoleons Zeit ihren Glanz. Auf deutsch heißen die langen Kähne Flachbodenschiffe, was daran liegt, dass sie mit nur 35 Zentimetern unter Wasser liegen und damit auch in sehr flachem Gewässer noch einsatzfähig sind. Früher ein unschlagbares Transportmittel für Waren aller Art. Aber natürlich kam dann die Eisenbahn, die Straßen wurden besser und wenn Braamhaar und Meijer heute von den alten Rekorden der Zompen schwärmen, dann wirkt es, als gäbe Opa mit seiner 50 Jahre alten Bestzeit vom Hundertmeterlauf an.

Der Faszination des Bootes konnten sich die beiden Rentner aber dennoch nicht entziehen. Deshalb gründeten sie 1986 eine Stiftung und seither halten eine Handvoll Rentner in Enter die Zompen-Tradition über Wasser. "Montags und dienstags arbeiten wir an dem neuen Boot", sagt Meijer. Und Braamhaar - der früher Lehrer war und heute im Shanty-Hemd am Ruder steht - ruft von achtern: "Und Bert macht immer die Dienstpläne für die Fahrten. Jeder von uns muss einmal in der Woche ran." Im Sommer werden stündlich Touristen wie zu Napoleons Zeiten über die Regge chauffiert - bei genug Windstärke macht Meijer den Motor aus und setzt die Segel. Im Frühjahr und Herbst gibt es den Spaß nur zweimal in der Woche. Und natürlich auf Anfrage für Gruppen.

"Wir sind schon stolz, was wir geschaffen haben." sagt Meijer. "Früher gab es drei Werften hier in Enter, von 350 Einwohnern arbeiteten 80 im Schiffsbau." Und wer einmal im Kahn über die Regge geglitten ist und erst recht derjenige, der hernach noch in der Werft eines der gut 50 Meter langen Boote im Bau bewundern durfte, der begreift die Dimension, die die beiden stolz macht. Aus einer einzigen Eiche darf das Boot nach alter Tradition gebaut werden. Siebzig Meter lang und eineinhalb Meter dick muss der Baum deshalb sein. "Solche gibt es fast nur noch in Dänemark", sagt Meijer. Das Holz wird zu langen Brettern gesägt und unter Dampf zur sich vorne und hinten verjüngenden Bootsform gebogen. 4000 Stunden gehen drauf, bis ein Zomp zu Wasser gelassen werden kann. All das erledigen die Bootsmänner in Enter ehrenamtlich. Dazu kommen aber knapp 100.000 Euro Materialkosten. Ohne eine Kulturförderung der EU gäbe es keines der Boote. Und für jedes weitere muss ein neuer Antrag bewilligt werden. 

Aber auch der Papierkram schreckt die Rentner nicht. Die Tradition muss gepflegt werden, schließlich liegt das Schiff-Gen irgendwie in der Familie. Wahrscheinlich. Meijers Vater fuhr zur See. Und Braamhaar vermutet, dass sein Großvater Zompen-Kapitän war. Belegt ist das zwar nicht, aber sicher ist, dass er englisch sprach, was für einen Bauernjungen aus der Gegend sehr ungewöhnlich war. Braamhaars Folgerung: "Er muss auf dem Schiff unterwegs gewesen sein. Die Regge hoch und irgendwann zur Nordsee. Von dort ist England ein Katzensprung."

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Campen für Weicheier

Campen ist toll. Oder war es zumindest. Damals in Portugal mit 19. Als das Thermometer nachts nie unter 25 Grad fiel und Dosen-Eiernudeln vom Gaskocher mein Lieblingsgericht waren. Zwanzig Jahre plus und fünfzehn Grad minus sieht die Sache schon anders aus. Und trotzdem bin ich jetzt in De Wije Werelt in Otterlo bei Arnhem auf dem Campingplatz. Oder besser: Auf dem Glampingplatz. Neben Wohnwagenstellplätzen gibt es hier nämlich zweistöckige Glampingzelte mit Kamin und Holzhütten mit Veranda, sechs Betten und eigenem Badezimmer. Und im Restaurant mit Blick auf den Kinderspielplatz und Indoor-Kletterhalle nebenan gibt es Burger und Fritten und Fisch und Wildsuppe und Sorbet. Für Eltern und Kinder nicht verkehrt. 

Die Romantikerin in mir vermisst die Eiernudeln, das befriedigende Gefühl, wenn alle Heringe so fest eingehämmert sind, dass die Zeltleine beim Anzupfen stramm surrt. Und den Moment, wenn man in kalten Nächten den Schlafsack ganz zuzieht und die Hitze des eigenen Atems die kalten Glieder wieder auftaut. Aber die Romantikerin in mir ist auch sehr vergesslich. Und deshalb ist jetzt die Zeit der Holzhütten. Das findet auch der Baby-Sohn, der nebenan im Babybett warm und tief schläft. Morgen geht es zur Werft Enterse Zomp, in der Flachbodenschiffe gebaut werden, wie sie vor dem Zweiten Weltkrieg hier wohl angesagt waren. Wie die Dinger aussehen, zeige ich euch morgen. Jetzt genieße ich erstmal noch den Blick in den Sternenhimmel von der Veranda aus. Der ist genauso schön wie damals von der Isomatte vor dem Zelt.
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Mum's best friend

 Jahrelang habe ich ihn nicht gebraucht. Ich habe den Pürierstab schon als Studentin von meinen Eltern geschenkt bekommen. "Falls du mal eine Suppe...", hatte meine Mutter gesagt oder sowas ähnliches. Und dann lag er ganz hinten im Schrank, direkt neben dem Olivenlöffel und dem Gänsebräter. Und die Studentin hat sich im Großen und Ganzen von Käsebrot und Fleischsalat ernährt. Dafür braucht es bekanntlich kein Küchengerät. Seit sechs Monaten weiß ich wieder: Ein Pürierstab kann Leben retten. Zumindest kommt es einem so vor, wenn man nichts sonst hat, außer einem brüllenden Baby und einem prallen Riesenpfirsich. Weil ich das Wunderteil überall mit hinschleppe, befand ich mich schon in der glücklichen Lage, letzteren an der Steckdose des DJ-Pults zu zerhäckseln. Das Kind hat überlebt und alles war gut. Deshalb habe ich auch vor dieser Reise noch nichts gepackt. Aber ich habe den Pürierstab poliert und auf die Reisetasche gelegt. Das gibt mir das Gefühl von Sicherheit. Wir werden notfalls alles so klein kriegen, dass der Zahnlose nicht hungern muss.

Ich breche also morgen mit dem sicheren Gefühl nach Gelderland auf, dass uns gar nichts passieren kann. 

 

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Urlaub mit den Schlümpfen

Die Schlümpfe begleiten uns jeden Abend zum Essen. Wir sind das nicht gewohnt, aber schon am zweiten Tag haben wir die kleinen Gestalten mit den sehr hohen Stimmen irgendwie ins Herz geschlossen. Das Kinderhotel am Oberjoch in Bad Hindelang im Allgäu macht ständig einen Spagat. Es soll ein Paradies sein für Kinder. Also Eismaschine, Pommes, längste Wasserrutsche, Spielplätze, Hüpfpilz, Kartbahn und Schlumpfmusik. Und ein Erholungsort für Eltern. Der so ziemlich von all dem das Gegenteil braucht: Sauna, Whirlpool, Wolfsbarsch und Stille. Wenn jemand einen Spagat versucht, dann kann das in einem hoffnungslosen Desaster enden. Schlimmstenfalls wird man beiden Parteien nicht gerecht. Aber es kann auch ein harmonisches Kunststück dabei herauskommen. Das Kinderhotel schafft Letzteres.

 

Das Essen ist ein gutes Beispiel. Die Kinder wollen Pommes und Spaghetti. Frittiertes Huhn. Schokoladeneis. Die Eltern wollen Wolfsbarsch und Prinzessbohnen im Speckmantel. Im Kinderhotel gibt es beides selbstverständlich nebeneinander. Eine Eismaschine mit Smarties und Gummibärchen zum Verzieren. Aber eben auch Crème brulée. Eine umfangreiche Weinkarte. Apropos, die Kinder wollen: Viel trinken. Die Frage: „Darf ich noch eins?“ können Eltern getrost mit einem großzügigen "Klar" beantworten. Die Limonade fließt schließlich zum Selbstzapfen aus etlichen Brunnen. Schlaraffenland, Oase. Und die Kinder können so viel trinken als wären sie ein Kamel und hätten eine sechswöchige Wüstentour vor der Brust.

 

Eine Wüstentour schließt sich am kommenden Morgen freilich nicht an. Schließlich reisen wir im Winter an. Es ist Februar, der Schnee liegt hoch wie bei Schneeweißchen und Rosenrot und wir müssen Handschuhe nachkaufen, weil wir die vergessen haben und die Temperaturen für zarte Kinderhände zu niedrig sind. Etwas vergessen ist im Kinderhotel Oberjoch übrigens kein Problem. Eigentlich ist alles da. Ein Snowboard? Gibt's im hoteleigenen Skiverleih. Ein Kinderwagen? Bei den Betreuern für U3. Ein Fläschchenwärmer? An der Rezeption. Babybrei? Natürlich am Büffet und zwar in allen Sorten und rauen Mengen. Eine Zahnbürste? Fragen Sie die nette Frau am Empfang. Ein Fußsack für die kalten Kinderfüße? Ist selbstverständlich vorrätig für alle Gäste. Ebenso wie Windeln und Feuchttücher. Wir machen uns einen Spaß und fragen alles ab. Nur bei der Skihose in Größe 142 müssen die Mitarbeiter passen. Macht aber nichts. Im Intersport ein paar Meter den Pass ins Dorf hinunter gibt's auch die.

 

Die großen Kinder wollen Snowboardfahren lernen. Ebenso der Mann. Das Baby und ich fahren derweil um die tiefverschneiten Hütten Kinderwagen-Schlitten. Nach zwei Stunden gesellen wir uns wieder zu den Snowboardfahrern. Jetzt könnte es ja etwas zu sehen geben. Und tatsächlich. Unter Aprés-Ski-Musik (Ich weiß nun endlich, wie die Mutter von Nici Lauda heißt) machen die drei schon ihre ersten Bögen.

Am Hotel zurück geht es weiter im Spagat. Das Hotel hat nämlich auch Indoor-Freizeit in jede Richtung. Was die Kinder wollen? Kartbahn! Und "die längste Hotel-Wasserrutsche Deutschlands" wurde schon vor der Reise sehnlichst erwartet. Was die Eltern wollen? Bundesliga per Sky gucken. Whirlpool und Sauna. Gibt's alles. Den Winzling versuchen wir zu diesem Zweck bei den sehr netten Betreuerinnen U3 abzugeben. Ich muss ausfüllen, wann er was essen soll, wie er beruhigt werden kann, wann er schlafen soll, wer ihn abholen darf, nach wie vielen Minuten Ungemach man mich auf dem Handy anrufen soll. Als wir gehen, ist der Unmut groß. Aber der Achtjährige sagt mit Bedauern, aber voller Vorfreude: "Wir müssen leider gehen. Wir müssen nämlich in den Whirlpool." Einmal tauche ich nach draußen, den Kopf im dampfenden Wasser, umgeben vom glitzernden Schnee, oben zeichnen schon die Sterne eine Vorankündigung der klaren Nacht in den Himmel. Es ist herrlich. Nach zehn Minuten erlöse ich unser Baby. Es darf mit in den Whirlpool, die Luft aus den Düsen blubbert es fast in den Schlaf.

Unser Fazit: Das Kinderhotel ist viel besser als wir erwartet haben. Pauschalreisen sind nicht so unser Ding und all inclusive weckt in unseren Ohren immer den Beigeschmack Massenabfertigung. Das Kinderhotel Oberjoch hat uns trotzdem völlig überzeugt. Der Spagat zwischen tobenden Kindern und anspruchsvollen Erwachsenen gelingt so elegant, dass wirklich alle entspannen können und Spaß haben. Der Preis ist natürlich entsprechend. Da muss einem ein Wochenende im Schnee schon so viel Wert sein wie eine Woche Sommerurlaub per Flugzeug. Da kann man auf die Kinderfrage: "Fahren wir nächstes Wochenende wieder ins Kinderhotel?" nicht ganz so großzügig antworten. Aber immerhin hat es sowohl der 13-Jährigen, als auch dem Achtjährigen und knapp Einjährigen gefallen. Der ist jetzt stolzer Besitzer von Murmel, dem Kinderhotel-Maskottchen. Und wir erinnern uns immer noch gern an den klaren Winterhimmel über dem Außenpool und das sehr geräumige Appartement mit Kuschelecke und riesigem Balkon und zwei Bädern und Sky-Abo. Und, und, und. Die Konjunktion in ihrer additiven Verwendung ist übrigens ein schönes Wort für dieses Hotel. Das Angebot scheint hier quasi nie zu Ende zu sein. Es kann immer noch etwas kommen: Und.

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Kaiserschmarrn-Zentrale

In meinem Kochbuch steckt ein zerknitterter Zettel. In Kinderschrift steht darauf ein großes Geheimnis: Das Kaiserschmarrn-Rezept der Milchbar in Gerlos, Tirol. Meine Tochter und meine Nichte haben es vor vielen Jahren nach beharrlichem Nachfragen und vielfachem eigenen Ausprobieren aufgeschrieben. Das Geheimnis: Puddingpulver und ein bisschen Backpulver. Selbstverständlich außerdem so viele Eier, wie nur irgend zu finden sind. Die Milchbar ist das dritte Zuhause der Mädchen. Wir kehren dort jedes Jahr ein, wenn wir in Gerlos zum Winterurlaub zu Gast sind. Und das bin ich seit 30 Jahren. Die Kinder kamen mit, als sie laufen konnten, und so ist für sie eine andere Destination des winters völlig ausgeschlossen. Wir bewohnen dort eine Ferienwohnung (zweites Zuhause), in der sich - wenn man ehrlich ist - seit 30 Jahren so gut wie nichts verändert hat. Nur eine Spülmaschine wurde nachgerüstet. Und der Eckbank-Bezug wurde erneuert. Der vom Sofa ist aber noch der gleiche. Dennoch: Wenn wir vorschlagen, einmal ein anderes Skigebiet zu erkunden, dann heißt es: "Auf keinen Fall, wir wollen nach Gerlos. Dort ist das schönste Hotel der Welt! Und die Milchbar!" Also buchen wir weiter jedes Jahr. Freunde, Partner, Ehemänner und Kinder sind dazugekommen - wir werden also jedes Jahr mehr, der Tisch in der Milchbar jedes Jahr größer. Sonst bleibt alles, wie es war. 

Dieses Jahr ist zum ersten Mal der Baby-Junge dabei. Skifahren kann er noch nicht. Aber wir haben beim "Huber" im Ort einen Schlitten ausgeliehen. Und so hopste sich der Schneezwerg dick verpackt schon das Schönachtal zur Lakenalm hinter. Hopste? fragt ihr euch? Das Verb ist korrekt, denn sobald der Junge wach ist, hängt er den Kopf hinten über den Schlitten, so dass er kurz über dem Boden schwebt, hopst mit dem Po auf und ab und lacht wie verrückt. Wollt ihr wissen, wie er dabei aussieht? So:

 

Skifahren ist in diesem Jahr übrigens ein Survival-Trip. Ich mag das ganz gerne. Wenn ich Helm und dicke Schneebrille aufsetze, darunter die Sturmhaube und die Flocken so dick fallen, dass man sich an den Pistenbegrenzungen orientieren muss, um überhaupt ins Tal zu finden, dann steigert das meine Abenteuerlust. Es ist nicht wirklich gefährlich, aber man kann es sich vorstellen, dass man auf einer Expedition ist und heil nach Hause zurück finden muss. Amundsen-Polarforscher-mäßig eben. Es schneit jedenfalls seit dem zweiten Tag ununterbrochen. Gestern wurden die Lifte abgestellt, weil noch Sturm dazu kam und als wir zu unserem Appartement hochfahren wollten, rutschte der Wagen weg und eine Gruppe großer holländischer Männer musste das Auto von der Leitplanke wegschieben, sonst wären wir reingekracht. Hochfahren konnten wir dann nur mit Anlauf. Die Mädchen waren trotz der widrigen Bedingungen ganz heiß auf die Piste. Der Grund: Sie haben dieses Jahr zum ersten Mal Snowboarden ausprobiert. Und das ist für heranwachsende Jugendliche natürlich um Längen cooler als Skifahren. Plötzlich ist das Alteleute-Sport. Für Mütter, Väter, Großväter und Großmütter. 

Aber heute ist sowieso Skipause. Man sieht die Hand kaum, wenn man sie - wie wir Kölnerinnen das gewohnt sind - eine ganze Armlänge wegstreckt. Die Schneefallwahrscheinlichkeit beträgt bis heute Abend 100 Prozent. Wir bleiben also zu Hause, hopsen vielleicht ein bisschen mit dem Schlitten und sammeln unsere Kräfte. Denn morgen Abend geht es mit dem Nachtzug nach Hause. Ich, ein Teenager und ein Baby. Kein Liegewagen, weil die schon alle ausgebucht waren. Nur Sitzplätze. Elf Stunden. Aber immerhin für unschlagbar günstige 59 Euro alles in allem. Ich bin gespannt, wie das klappt. Drückt die Daumen, ich berichte!

 

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Hipster-Hauptstadt

Wenn jede Stadt der Welt ein Familienmitglied wäre, dann wäre Rotterdam die verrückte Cousine aus Übersee. Sie würde ein völlig abgedrehtes Architekturbüro leiten, hätte sechs Kinder von fünf Männern, kein Auto, dafür einen außergewöhnlichen Modegeschmack und beim Ausgehen würde sie immer eine Runde schmeißen. Und zwar gerne Moscow Mule oder ein anderes sündhaft teures Getränk. Konventionen? Ach was - darüber würde sie nur abfällig, aber auch sehr sexy lächeln. Ganz anders als ihre knuffigen Schwestern Amsterdam, Den Haag oder so pittoreske Örtchen wie Gouda oder Middelburg. Wer nach Rotterdam kommt, kann sich Grachten-Charme schonmal abschminken. Hier ist die Hipster-Zentrale. Alles ist designed. Sogar McDonalds sitzt in einem goldenen Kubus irgendwo vor einer halbwegs alten Fassade. Stahl, Beton, Wolkenkratzer, dessen Etagen ein bisschen versetzt aufeinandersitzen, als hätte es ein Kind beim Spielen nicht ganz genau genommen. Schwimmende Pavillons in Fußballform, dominante Stehlen, Beleuchtungskonzepte, die an überdimensionierten Kränen hängen, Wohnhäuser, deren Würfel auf der spitzen Ecke stehen. Vielleicht ist Rotterdam gar keine Stadt, sondern nur der Ausstellungsort für einen riesigen Architekturwettbewerb. Gleich muss irgendeine Jury vorbeikommen und entscheiden, ob der Tower mit den Waben gewonnen hat oder die Markthalle mit der überdimensionierten Obstmalerei an der Decke. Oder doch die Erasmusbrücke mit ihrem riesigen Einzelpylon, der einem Origami-Vogel gleich in den von Wolken zerfetzten Himmel ragt.

Wer in Rotterdam ist, kann sich einfach treiben lassen und muss keine Angst haben, dass er nichts entdeckt. Besonderheiten fürs Auge gibt es nämlich an jeder Ecke. Und für den Mund auch. Was man keinesfalls verpassen sollte:

 

 

Die Markthalle

Geschäftiges Treiben und von Würsten über Käse, Fisch, Gemüse, Obst, Süßigkeiten bis hin zu Kaffee und Austern und Gebäck und Smoothies gibt es hier alles, was man gerne im Bauch hätte. Allein am Salamistand wird man fast verrückt, weil man sich nicht entscheiden kann zwischen den vielen Sorten mit grünem Pfeffer, mit Cognac, mit Pilzen, mit Camembert, mit Ziegenkäse, mit Kurkuma, von der Ente, vom Wildschwein, vom Rind, vom Hirsch. Käselaibe stapeln sich genauso wie "Wortels", das sind Karotten - und sie sind hier so groß wie Zuckerrüben. Überall kann man probieren, wer noch nicht satt ist, klettert auf eine der Terrassen und kann von dort oben in relativer Ruhe und relativ günstig einen Teller Pasta verspeisen. Oder was griechisches, oder chinesisch, oder was auch immer. Das beste: Für das ganze Paradies muss man nicht einmal früh aufstehen. In Rotterdam hat die Markthalle nämlich bis acht Uhr abends geöffnet. Und wer neben den ganzen edlen Genüssen noch ganz banales einkaufen muss, der findet im Untergeschoss auch den Supermarkt, der Toilettenpapier verkauft und (in unserem Fall wichtig) Babynahrung für die Kleinsten unter uns, denen eine ganze Salami am Stück dann doch noch zu mächtig ist.

Ein bisschen Romantik

Es gibt nach etwas Suchen dann doch mindestens eine Straße in Rotterdam, da gleicht die Stadt ihren charmanten Schwestern fast aufs Haar. Veerhaven im Scheepvaartkwartier. Hier glucksen alte Segelschiffe auf dem Wasser, darüber thronen Laternen, die aussehen, als würde sie morgens der Nachtwächter löschen und drumherum gruppieren sich hohe Giebelhäuser. Obwohl Rotterdam hier so gar nicht so ist, wie es sich eigentlich fühlt, sollten Besucher diesen inneren Hafen nicht verpassen. Und sei es nur, um sich zu erholen von der schnellen, lauten Reise in die Zukunft, durch die hier jeder Gast hindurch muss. Hier ist Rotterdam ganz Holland. Und wer verliebt ist, verpasst diesen Ort ohnehin auf keinen Fall. Zu romantisch ist die Kulisse, vor der sich gerade am Wochenende auch immer wieder Bräute mit ihren Zukünftigen einfinden, um das Ja-Wort in einem passenden Hafen-Foto für die Enkelkinder festzuhalten.

Auf jeden Fall: Essen gehen!

Wer nach Holland fährt und nicht viel nachdenkt, hat die Klischees im Kopf. Denn natürlich ist unser Nachbar mit ein paar Begriffen verknüpft, die wir runterbeten würden, wenn uns nachts um drei jemand weckt und fragt, was uns zu den Niederlanden einfällt: Tulpen, Tomaten (eher die geschmacklosen), Gouda, Frikandel, Waffeln (Stroopwafels, pappsüß) und Pommes mit Mayo. Fahrt ruhig mit diesen Vorurteilen hin. Ihr werdet überrascht zurückkommen. Zumindest dann, wenn ihr der Versuchung widersteht, an jeder Ecke Waffeln und Pommes und Bitterballen in euch reinzustopfen, sondern euch einlasst auf die Küchenkreativität dieser selbstbewussten Stadt. 

Besonders empfehlenswert ist unserer Meinung nach das "Ayla" am Kruisplein. Wir haben gar nicht so viel erwartet, es war der letzte Tag, wir waren gar nicht so hungrig und dachten eher an ein Bistro-Essen, als wir das gemütliche Interieur sahen, ein bisschen Casablanca, ein bisschen Beirut, ein bisschen Barcelona, ein bisschen New York. Serviert wird hier außerdem zu jeder Tages- und Nachtzeit. Was normalerweise auch eher an Durchschnittlichkeit denken lässt. Und dann haben uns die ausgefallenen Tapas echt fast vom spanischen Hocker gehauen. Nichts mit Datteln in Speck oder banalen Patatas. Mein Favorit war das Huhn vom "Josper", einer Mischung aus Grill und Backofen, der das Fleisch so macht, wie es sein soll: röstaromig und trotzdem zart (9,50 Euro). Dazu rote Beete und Sahnequark. Mutete irgendwie auch indisch an dadurch und zerfloss im Mund und danach im ganzen Körper. Herrlich! Aber auch das Iberico-Schwein mit einer Soße aus Zwiebeln und Bourbon war toll (11,50 Euro). Für Vegetarier eine Offenbarung: Die Frühlingszwiebeln mit Haselnüssen und Safran, dazu gerösteter Knoblauch: Erfrischend säuerlich wie ein Salat und superlecker (8,50 Euro). Zart und kein bisschen gummiartig war auch der Tintenfisch mit Fenchel (11,50 Euro). Das Ayla ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Auch, wenn der Spaß nicht ganz günstig ist. Die Portionen sind für Tapas eher groß, dennoch braucht man eher drei, um richtig satt zu werden. Dann wird der Abend schnell teuer. Zum Glück kann man aber auch nur kurz vor dem Kino herkommen und zu zweit ein Tellerchen probieren. Dann beginnt der Abend kulinarisch traumhaft und finanziell überschaubar.

Wer einfach ein saftiges Stück Fleisch zwischen den Zähnen haben will und nichts mit Von-kleinen-Tellern-naschen am Hut hat, geht gleich ins "Supermercado", Schiedamse Vest, unweit vom Veerhaven. Der Südamerikaner hat Ceviche im Angebot, aber auch die Klassiker wie Steak, Tortillas, Tacos, Quesadillos, Burger, Spareribs und Fajitas. Alles hat Streetfood-Charme, die Einrichtung ist so gemütlich, dass sie auch das Winterrotterdam gleich um drei bis vier Grad wärmer macht und die Kellner tragen lustige Shirts (Call nine, juan, juan. It's a taco emergency) und sind trotz Hochbetrieb sehr charmant und gelassen. Das Fleisch war superlecker und die Chimichurri schön rauchig-scharf. Auch erwähnenswert ist tatsächlich die Guacamole zur Vorspeise. Da erwartet man gar nichts Besonderes. Und dann war sie so samten-cremig und mild, dass sogar unser Baby-Junge sie liebte. Übrigens Baby-Junge: Kinderstühle gab es an beiden Adressen, dazu viele sehr liebevolle Worte für alle Winzlinge.

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Rotterdam mit Baby

Bevor ich in eine Stadt reisen, in der ich noch nie war, mache ich oft ein kleines "Hab ich mal gehört"-Spiel. Meistens fallen einem nämlich zu Orten irgendwelche Bezüge ein, die - zugegebenermaßen - oft nicht mit dem nötigen Hintergrundwissen verknüpft sind. Wenn man das dann schon vor der Reise nachschlägt, erspart man sich grobe Peinlichkeiten und hat jedenfalls schon ein paar verstaubte Gehirnschubladen wieder flott gemacht. Im Falle von Rotterdam fällt mir Erasmus von Rotterdam ein, aber auch Feyennoord Rotterdam und die Erasmusbrücke. Erasmus von Rotterdam ist wahrscheinlich der berühmteste Sohn der Stadt. Interessanterweise wohnte der Humanist und Vorreiter der Reformation nicht sehr lange in Rotterdam, er sah sich eher als Europäer und reiste viel. Geboren wurde er aber wahrscheinlich in oder bei Rotterdam und zwar interessanterweise als zweiter unehelicher Sohn eines katholischen Priesters aus Gouda und seiner Haushälterin. Er war erklärter Pazifist und in seinen theologischen Schriften ökumenisch - was zu Luthers Zeiten ja jetzt nicht so selbstverständlich war. In grundsätzlichen Glaubensfragen seien die beiden Richtungen ja einig, Kleinigkeiten in Auslegung und Ritus könne man ja jedem Gläubigen freistellen. Ein moderner Mann also. Und dazu ein witziger. Sein bekanntestes Werk heute ist dann auch die Satire "Lob der Torheit". 

Feyennord mit seinen Wurzeln im Rotterdamer Hafen-Milieu hat zweimal den Uefa-Pokal gewonnen. 2002 - man erinnert sich vielleicht - leider im Finale gegen den BVB. Emotion und Treue bewiesen die Fans erst vor wenigen Tagen, als sie beim Spiel gegen Venlo mit dem Lied "You'll never walk alone" dem vor sechs Jahren an Leukämie verstorbenen Sohn des Torwarts Brad Jones gedachten,

Und von der Erasmusbrücke? Wusste ich bislang auch nur, wie sie grob aussieht. Nämlich ein bisschen wie ein sehr dünner, sehr steiler Origami-Vogel. Andere erinnert sie eher an einen Schwan, weshalb sie auch den Spitznamen "de zwaan" trägt. Jetzt weiß ich auch noch zwei Superlative, nämlich zum einen dass es sich bei ihr um die größte und schwerste Klappbrücke Westeuropas handelt. Und zum anderen, dass beim Bau von 1994 bis 1996 der leistungsstärkste Schwimmkran der Welt von Nöten war, er trägt den schönen Namen Thialf und wurde gebraucht, um den 139 Meter hohen Pylon aufzustellen. 

Das muss als Grundwissen genügen. Am Wochenende werde ich meine Rotterdam-Kenntnisse hoffentlich noch ein wenig vertiefen.

Spannrolle verzweifelt gesucht

Neben der Leitplanke geht es steil bergab. Es ist schlammig, unbequem und die Autos fahren einem dort direkt durch das Gehirn. Zumindest hört es sich genau so an. Neben der Leitplanke ist kein Ort, an dem man seinen Sonntagnachmittag verbringen möchte. Schon gar nicht, wenn man einen Säugling dabei hat. Ich habe es trotzdem getan. Denn kurz nach Hünxe auf der A3 blinkten in meinem Wagen alle Warnleuchten. Ich hatte mich gerade auf das letzte Stück Richtung Köln aufgemacht, nachdem Google-Maps in Holland versagt und wir schon Stunden durch die Gegend geirrt waren. Also Seitenstreifen, Warnblinklicht, ADAC, Warnweste, Warndreieck, hinter die Leitplanke. Alles mit Baby-Sohn. Warten. Stunden. Pannendienst, Abschleppwagen, Mietauto, spät zu Hause. Ich raffe, denn das Lustige kommt erst noch. Die Werkstatt in Dinslaken versprach, den Wagen zu reparieren. Die Spannrolle sei defekt, alles sei reparabel, die schlechte Nachricht nur, dass gerade für das Baujahr meines Autos die Spannrolle schwer zu kriegen sei. Ich wartete eine knappe Woche, die Werkstatt suchte sämtliche Unterhändler nach der besagten Spannrolle ab. Und gab schließlich auf. Immerhin schleppten sie den Wagen zurück nach Köln, nicht ohne mir vorher mitzuteilen, das Auto sei ohne die Spannrolle nicht mehr instand zu setzen. Große Katastrophe. Ich sah mich schon auf allen Schrottplätzen der Region nach Spannrollen fahnden. Ich habe von den Dingern geträumt, ohne je eine solche zu Gesicht bekommen zu haben. 

Und was soll ich sagen: Die Tatsache, dass eine Spannrolle für meinen Wagen so schwer zu bekommen war, lag banalerweise daran, dass mein Auto gar keine Spannrolle hat. Nie hatte. Der Zwischenhändler hat den Kfz-Mechaniker meines Vertrauens ausgelacht, als er nach einer Spannrolle für mein Modell fragte. Defekt war nämlich nur die Wasserpumpe. Und für die gab es auch ein Ersatzteil. Jetzt fährt der kleine Alte wieder. Nur nach Dinslaken so schnell wohl nicht mehr. Da haben wir ein Trauma.

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Frikandel-Erfahrung gelöscht

Als ich drei Jahre alt war, haben meine Eltern und ich ganz außer der sonst herrschenden Gewohnheit unseren Urlaub nicht in den Bergen, sondern an der See verbracht. Und zwar in Holland, in der Nähe von Groningen. Noch heute wird viel über diesen Urlaub gesprochen in unserer Familie. Einmal, weil es der erste Urlaub war, an den ich eine Erinnerung habe (daran, dass ich ins Waschbecken gekotzt habe und dass ich dort Playmobil-Elefanten geschenkt bekommen habe, mit denen ich im Flur spielte), zum anderen, weil unser Vermieter (sein Name war Bab, das weiß ich noch, weil: Wie die Abkürzung von Bundesautobahn) zwar sehr kinderfreundlich war, die Gastronomie in Holland aber damals eher nicht so auf Kinder eingestellt. Mein Vater erzählt zumindest, wenn es nach den holländischen Restaurants gegangen wäre, hätten wir Kinder zwei Wochen lang nur Frikandel mit Pommes gegessen. Denn etwas anderes hätte die Kinderkarte nicht geboten und kleine Gerichte oder wenigstens ein Gericht auf zwei Tellern wurden grundsätzlich nicht verkauft. Natürlich ist diese zweiwöchige Erfahrung aus dem Sommer 1982 nicht repräsentativ, aber an diese Frikandel-Geschichte dachte ich noch, als ich nun mit dem Baby-Sohn nach Holland reiste. Und erlebte dann aber ein Holland, das eher an die sprichwörtliche Kinderverrücktheit Italiens erinnerte: Touristen mit Kindern wird es hier leicht gemacht.

Jedenfalls sind die Angebote für Familien sehr groß. Auf dem Campingplatz De Wije Werelt in Otterlo gibt es Baumhäuser, Glamping-Zelte und Blockhütten, in denen gut zwei Erwachsene und vier Kinder unterkommen können. Auch in meiner zweiten Unterkunft, dem Eureka-Park in Deuringen in der Provinz Overijssel sind die Hütten nicht sparsam mit Betten. In dem Haus, in dem ich übernachtete, gab es drei Schlafzimmer mit insgesamt sieben Betten und einem extra Babybett. Großfamilien finden also genügend Platz. Dazu gab es zwei Badezimmer und insgesamt drei Toiletten. Beide Unterkünfte warten mit Spielplätzen drinnen wie draußen auf. Bei Wije Werelt gibt es außerdem ein Schwimmbecken und für Kinder eine extra Menülarte, der Eureka-Park wartet auf mit einem Streichelzoo und Naturerkundungsprogrammen während der besucherstarken Zeiten. 

Auch im Naherholungsgebiet Husbeek direkt beim Eurekapark gibt es mannigfache Möglichkeiten für Familien. Viele Restaurants sind auf die Bedürfnisse junger Gäste eingestellt, es gibt Ponyreiten, einen Reiterhof, Paint-Ball, Kletterwald, Abenteuerspielplätze, einen Wald mit Wasserparcours, eine Kartbahn, Naturpfad, Bike-Park, Skaterbahn, Quad-Adventure-Park, eine Radrennbahn und noch mehr. 

Auch das Museum Twentse Welle in Enschede betont seine Angebote für Kinder. Während die Eltern die Ausstellungen besuchen, können die Kinder in der Betreuung etwas basteln, das mit den Themen des Museums zu tun hat. Es wird viel gewebt und geklöppelt, gerade entstehen wegen der Ausstellung zum Thema "Der Traum vom Fliegen" aber auch Heißluftballons und ähnliches. Alle Materialien sind im Eintrittspreis enthalten. 

Die Frikandel-Erfahrung kann ich jedenfalls löschen. Bab würde sich freuen.

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Zurückspulen, bitte

Wenn wir jetzt in den Bus steigen und statt nach Köln-Ehrenfeld nach Minus zehn Jahre reisen könnten? Ort gleichbleibend. Die Frage ist gar nicht nur, was wir tun würden. Sondern: Dürften wir überhaupt etwas tun? Würden wir nicht die ganze Kaskade des Lebens kaputt machen? Weil heute plötzlich nichts mehr zueinander passte, da vor zehn Jahren ein Stein an eine andere Stelle verschoben wurde? Dennoch: Gerade, wenn das Leben uns Zäsuren in die Biografie baut, ist der Drang, nochmal hinter die Absperrung zu springen und alles anders zu machen, besonders groß. Wenn man in Enschede, im Stadtteil Roombeek aus dem Auto steigt und über die an den Parkplatz angrenzende Wiese blickt, will man auch springen, den Bus nehmen zum 13. Mai 2000,nachmittags, als man vieles noch hätte anders machen können.

Henk Stubbe ist eigentlich Rentner und führt mich durch das Museum Twentse Welle, das die Geschichte der gesamten niederländischen Region Twente von den Ammoniten an erzählt. Das Museum ist interessant, mir gefällt besonders das Mammut-Skelett und die von einer Dampfmaschine angetriebenen Webstühle, die in der Tuch-Stadt Enschede einen großen Teil der Geschichte ausmachen. Aber immer wieder reden wir dann doch von dieser Katastrophe vor 17 Jahren, die so tragisch war, weil sie so harmlos und so voller Fehleinschätzungen begann. Und ein paar Minuten später waren 23 Menschen tot, knapp tausend verletzt, ein ganzer Stadtteil niedergebrannt, detoniert. Eine Explosion erschütterte den Norden der niederländischen Stadt, die so stark war, dass die Infraschall-Messanlage der Bundesanstalt für Geowissenschaften im 625 Kilometer entfernten Bayerischen Wald, eine gute halbe Stunde später noch die Druckwelle registrierte. "13. Mai 2000." Stubbe webt das Datum in seine Geschichten ein wie ein auffälliges Muster. Die Katastrophe, die alles zerstörte. Und an deren Ort heute ein neues, belebtes Viertel entstanden ist. Inklusive des historischen Museums Twentse Welle.

Angefangen hatte alles mit einem Brand in der ortsansässigen Feuerwerksfabrik. Feuerwerksraketen schossen in den Himmel, die Feuerwehr löschte mit einem Einsatzwagen und zwölf Mann, Schaulustige drängten sich am sonnigen Frühlingstag um das Schauspiel, viele Familien und Studenten, die hauptsächlich im Viertel wohnten, alles schien harmlos, eine Stimmung wie auf einem Straßenfest, auch die Feuerwehr glaubte noch kurz vor halb vier Uhr am Nachmittag den Brand unter Kontrolle zu haben. Nicht einmal zehn Minuten später brennt der gesamte Stadtteil. Container mit Feuerwerkskörpern explodieren, man vermutet auch illegal gelagertes Material, für das es keine Genehmigungen gab. Die zweite Explosion entwickelt eine Sprengkraft von knapp 5000 Kilogramm TNT. 

Henk Stubbe und ich haben Mammut und Webstühle unter uns gelassen und sind in den siebten Stock des Museumsturms gefahren. Der 78-Jährige streckt die Arme aus und malt imaginäre Linien auf die Gegend unter uns. Der Turm, auf dem wir stehen, ist das Zentrum eines Stadtteils voller Neubauten. Vieles hat man versucht, zu rekonstruieren. Zum Beispiel wurden die alten Arbeiterhäuser wieder aufgebaut, wenn auch in modernen Versionen. "All das hier wurde zerstört am 13. Mai 2000." Stubbe würde gerne den Bus nehmen zu diesem Tag vor 17 Jahren, nachmittags um halb vier. Er würde die Leute nach Hause schicken.

Heute erinnert ein Schild auf dem Rasen neben dem Parkplatz an die Katastrophe und deren Opfer. Einige Autos parken auf der Gedenkwiese. Es ist viel los im gegenüberliegenden Einkaufszentrum. Außerdem: Nebenan ist Flohmarkt, es gibt Luftballons und Rosinenbrötchen. Die Leute sind so zahlreich, dass die Luft summt von ihren Gesprächen, vom Lachen und Rufen. An den Ständen stapeln sich billige Kinderklamotten und nachgemalte niederländische Meister in Öl. Der Regen hat sich verzogen, die Verkäufer befreien ihre Auslage von schützenden Plastikplanen. Es wird ein ausgelassenes Straßenfest werden. Ein niederländischer Alleinunterhalter singt Michael Holms Schlager: "Tausend Träume bleiben ungeträumt. Und tausend Küsse kann ich ihr nicht schenken. Ich gebe nicht auf und such nach ihr in der heißen Sonne von Mendocino."

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Hohe Ziele, flacher Boden

Bert Meijers Augen haben Sehnsucht nach der See. Sie sind sehr hellblau und schützend zu Schlitzen verengt, wenn er auf das Wasser blickt, das der Kahn fast lautlos zerteilt. "Elektro", sagt der 65 Jahre alte Niederländer und klopft auf eine Holztruhe in der Mitte des Schiffes. "Früher musste man natürlich stochern, wenn kein Wind war." Johann Braamhaar, 68, steht am Steuer gerade und verwurzelt wie eine Eiche und ruft: "Zeig ihr das mal!" Also lächelt Meijer, schiebt verlegen seine Schirmmütze etwas tiefer, holt einen langen Holzstab hervor, klettert auf die Sitzbank, sticht ihn auf den Grund der Regge, das ist der Fluss hier im niederländischen Enter bei Enschede und stößt das Boot Stück für Stück vorwärts. Eigentlich gibt es das Boot, in dem wir langsam durch den mäandernden Fluss gleiten, schon lange nicht mehr. Die Zompen, wie die Holländer sie nennen, wurden seit etwa 1600 gebaut und erlebten zu Napoleons Zeit ihren Glanz. Auf deutsch heißen die langen Kähne Flachbodenschiffe, was daran liegt, dass sie mit nur 35 Zentimetern unter Wasser liegen und damit auch in sehr flachem Gewässer noch einsatzfähig sind. Früher ein unschlagbares Transportmittel für Waren aller Art. Aber natürlich kam dann die Eisenbahn, die Straßen wurden besser und wenn Braamhaar und Meijer heute von den alten Rekorden der Zompen schwärmen, dann wirkt es, als gäbe Opa mit seiner 50 Jahre alten Bestzeit vom Hundertmeterlauf an.

Der Faszination des Bootes konnten sich die beiden Rentner aber dennoch nicht entziehen. Deshalb gründeten sie 1986 eine Stiftung und seither halten eine Handvoll Rentner in Enter die Zompen-Tradition über Wasser. "Montags und dienstags arbeiten wir an dem neuen Boot", sagt Meijer. Und Braamhaar - der früher Lehrer war und heute im Shanty-Hemd am Ruder steht - ruft von achtern: "Und Bert macht immer die Dienstpläne für die Fahrten. Jeder von uns muss einmal in der Woche ran." Im Sommer werden stündlich Touristen wie zu Napoleons Zeiten über die Regge chauffiert - bei genug Windstärke macht Meijer den Motor aus und setzt die Segel. Im Frühjahr und Herbst gibt es den Spaß nur zweimal in der Woche. Und natürlich auf Anfrage für Gruppen.

"Wir sind schon stolz, was wir geschaffen haben." sagt Meijer. "Früher gab es drei Werften hier in Enter, von 350 Einwohnern arbeiteten 80 im Schiffsbau." Und wer einmal im Kahn über die Regge geglitten ist und erst recht derjenige, der hernach noch in der Werft eines der gut 50 Meter langen Boote im Bau bewundern durfte, der begreift die Dimension, die die beiden stolz macht. Aus einer einzigen Eiche darf das Boot nach alter Tradition gebaut werden. Siebzig Meter lang und eineinhalb Meter dick muss der Baum deshalb sein. "Solche gibt es fast nur noch in Dänemark", sagt Meijer. Das Holz wird zu langen Brettern gesägt und unter Dampf zur sich vorne und hinten verjüngenden Bootsform gebogen. 4000 Stunden gehen drauf, bis ein Zomp zu Wasser gelassen werden kann. All das erledigen die Bootsmänner in Enter ehrenamtlich. Dazu kommen aber knapp 100.000 Euro Materialkosten. Ohne eine Kulturförderung der EU gäbe es keines der Boote. Und für jedes weitere muss ein neuer Antrag bewilligt werden. 

Aber auch der Papierkram schreckt die Rentner nicht. Die Tradition muss gepflegt werden, schließlich liegt das Schiff-Gen irgendwie in der Familie. Wahrscheinlich. Meijers Vater fuhr zur See. Und Braamhaar vermutet, dass sein Großvater Zompen-Kapitän war. Belegt ist das zwar nicht, aber sicher ist, dass er englisch sprach, was für einen Bauernjungen aus der Gegend sehr ungewöhnlich war. Braamhaars Folgerung: "Er muss auf dem Schiff unterwegs gewesen sein. Die Regge hoch und irgendwann zur Nordsee. Von dort ist England ein Katzensprung."

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Campen für Weicheier

Campen ist toll. Oder war es zumindest. Damals in Portugal mit 19. Als das Thermometer nachts nie unter 25 Grad fiel und Dosen-Eiernudeln vom Gaskocher mein Lieblingsgericht waren. Zwanzig Jahre plus und fünfzehn Grad minus sieht die Sache schon anders aus. Und trotzdem bin ich jetzt in De Wije Werelt in Otterlo bei Arnhem auf dem Campingplatz. Oder besser: Auf dem Glampingplatz. Neben Wohnwagenstellplätzen gibt es hier nämlich zweistöckige Glampingzelte mit Kamin und Holzhütten mit Veranda, sechs Betten und eigenem Badezimmer. Und im Restaurant mit Blick auf den Kinderspielplatz und Indoor-Kletterhalle nebenan gibt es Burger und Fritten und Fisch und Wildsuppe und Sorbet. Für Eltern und Kinder nicht verkehrt. 

Die Romantikerin in mir vermisst die Eiernudeln, das befriedigende Gefühl, wenn alle Heringe so fest eingehämmert sind, dass die Zeltleine beim Anzupfen stramm surrt. Und den Moment, wenn man in kalten Nächten den Schlafsack ganz zuzieht und die Hitze des eigenen Atems die kalten Glieder wieder auftaut. Aber die Romantikerin in mir ist auch sehr vergesslich. Und deshalb ist jetzt die Zeit der Holzhütten. Das findet auch der Baby-Sohn, der nebenan im Babybett warm und tief schläft. Morgen geht es zur Werft Enterse Zomp, in der Flachbodenschiffe gebaut werden, wie sie vor dem Zweiten Weltkrieg hier wohl angesagt waren. Wie die Dinger aussehen, zeige ich euch morgen. Jetzt genieße ich erstmal noch den Blick in den Sternenhimmel von der Veranda aus. Der ist genauso schön wie damals von der Isomatte vor dem Zelt.
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Mum's best friend

 Jahrelang habe ich ihn nicht gebraucht. Ich habe den Pürierstab schon als Studentin von meinen Eltern geschenkt bekommen. "Falls du mal eine Suppe...", hatte meine Mutter gesagt oder sowas ähnliches. Und dann lag er ganz hinten im Schrank, direkt neben dem Olivenlöffel und dem Gänsebräter. Und die Studentin hat sich im Großen und Ganzen von Käsebrot und Fleischsalat ernährt. Dafür braucht es bekanntlich kein Küchengerät. Seit sechs Monaten weiß ich wieder: Ein Pürierstab kann Leben retten. Zumindest kommt es einem so vor, wenn man nichts sonst hat, außer einem brüllenden Baby und einem prallen Riesenpfirsich. Weil ich das Wunderteil überall mit hinschleppe, befand ich mich schon in der glücklichen Lage, letzteren an der Steckdose des DJ-Pults zu zerhäckseln. Das Kind hat überlebt und alles war gut. Deshalb habe ich auch vor dieser Reise noch nichts gepackt. Aber ich habe den Pürierstab poliert und auf die Reisetasche gelegt. Das gibt mir das Gefühl von Sicherheit. Wir werden notfalls alles so klein kriegen, dass der Zahnlose nicht hungern muss.

Ich breche also morgen mit dem sicheren Gefühl nach Gelderland auf, dass uns gar nichts passieren kann. 

 

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Diese Reise wurde unterstützt vom Holländischen Tourismusbüro Das andere Holland.